Bürgermeister gegen direkte Demokratie

von | 30.12.2024 | Resist, React, Rethink

Die Freunde der Demokratie haben mit der DemokratieApp ein Werkzeug geschaffen, das direkte Demokratie schnell, effizient und transparent möglich macht.

Am 28.11.2024 wurde folgende Frage zur Abstimmung gestellt:

Sollen wir der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zur Verfügung stellen? – Link

Die Abstimmung ist nun beendet und ihr Ergebnis wurde den zuständigen Politikern, auch aufgeschlüsselt für ihre Gemeinden, als Bürgerbescheid zugestellt.

An Weihnachten erhielten die Freunde der Demokratie vom Bürgermeister Michael Waßmann (Gemeinde Winnigstedt) folgende Antwort, die einen tiefen Blick auf das zugrunde liegende Demokratieverständnis zulässt.

(Unter dem Schreiben findet sich die Antwort der Freunde der Demokratie.)

Antwortschreiben zur Abstimmung von Bügermeister Waßmann

Guten Tag,
 
ich erinnere nicht, dass ich Sie um Übersendung irgendwelcher Materialien für meine Arbeit als gewählter Bürgermeister meiner Gemeinde gebeten hätte.
Das habe ich auch künftig nicht vor, weswegen ich Sie bitte – und wenn das nicht reicht: Sie auffordere –, mir Ihre Nachrichten ab jetzt auch zu ersparen.
 
Es wird Sie hoffentlich wenig überraschen, wenn schon nicht erfreuen, dass ich als ein die Demokratie wertschätzender Kommunalpolitiker die Vorzüge parlamentarisch-demokratischer Verfassungen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene unbedingt verteidige. Soweit ich dazu als Bürgermeister legitimiert bin, tue ich dies in verantwortungsvoller Form und binde gleichwohl die Bevölkerung sehr transparent in Entscheidungsprozesse ein. Dies zeitigt auch Erfolge, namentlich in einem großen Interesse an Ratssitzungen und an weiteren Veranstaltungen der Gemeinde durch die Bürgerinnen und Bürger sowie auch in deren Zuspruch und in konstruktiver Kritik.
 
Für Ihre Versuche, konstitutive Elemente unserer Verfassung zu delegetimieren habe ich insofern kein Verständnis und auch keine Toleranz.
Wer sich an Prozessen der Entscheidungsfindung beteiligen mag, der mag demokratisch wählen gehen oder sich selber zur Wahl stellen oder – was auch einen probater Weg zumindest im ländlichen Raum darstellt – sich nachhaltig ehrenamtlich engagieren.
 
Ihre querdenkerischen und völkischen Bestrebungen schaden unserem Staat, spalten die Gesellschaft und dienen verfassungsfeindlichen Zielen. Daran besteht kein Bedarf, sie widern mich persönlich auch an.
 
Bodenlos dumm ist zudem Ihr Gedanke, dass eine „Menge“ von 394 abgegebenen Stimmen angesichts von rd. 8,2 Mio. niedersächsicher Einwohnerinnen und Einwohner irgendeine demokratisch konnotierte Relevanz für eine landesweite Meinungsbildung hätte. Vollständig blöd, dieses auf meine Gemeinde mit rd. 690 Einwohnern herunterzubrechen, wonach sich rechnerisch ein 30stel Einwohner an einer Abstimmung beteiligt hätte. Und das völlig losgelöst von dem Aspekt, dass in keiner Weise klar ist, ob Ihre Form der „Abstimmung“ überhaupt geeignet wäre, rechtsstaatlichen Grundsätzen an eine Volksabstimmung und deren Auszählung zu gereichen. Ihnen fehlt also nicht nur staats- und verfassungsrechtliches Verständnis, offenbar hapert es auch an Intelligenz. Ihr „Bürgerbescheid“ ist mithin irrelevant und ein lächerlich infantiler Versuch von Meinungsmache. Schämen Sie sich!
 
Zum Inhaltlichen die kurze Anmerkung: Weder kommunale, noch Landesparlamente sind mit der Frage irgendwelcher Waffenlieferung befasst. Die Zuständigkeit liegt – zurecht – beim Bund.
 
Mit freundlichen Grüßen
Michael Waßmann
(Bürgermeister)

Das ist die Antwort der Freunde der Demokratie

Sehr geehrter Herr Waßmann,

mit Ihrem Schreiben vom 26.12.2024 antworten Sie auf den ersten bundesweit versandten Bürgerbescheid der Freunde der Demokratie.

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, uns einen tiefen Einblick in Ihr persönliches Menschenbild sowie Ihr Politikverständnis zu geben. Sie führen hervorragend vor, warum sich „die Menschen“ immer weniger von Parteipolitikern vertreten fühlen. Wer will schon jemanden für sich sprechen lassen, der ihn wüst beschimpft und verleumdet, ohne ihn überhaupt zu kennen?

Wenn Sie der „die Demokratie wertschätzende Kommunalpolitiker“ sind, für den Sie sich ausgeben, würden Sie sich gegenüber Ihren Mitbürgern standesgemäß und zivilisiert artikulieren. Wie es sich für eine parlamentarisch-demokratische Verfassung gehört, schwingen wir ihr zu Ehren keine Sonntags- oder Hassreden, sondern verteidigen sie durch unser praktisches Tun. Statt mit gleicher Münze zurück zu zahlen, regen wir daher an, dass auch Sie Ihre Haltung mit validen, konstruktiven Argumenten vertreten und Missverständnisse ausräumen:

Bis zum Erhalt Ihres Schreibens haben wir Ihr politisches Wirken in keinster Weise in Frage gestellt. Wie kommen Sie auf die Idee, sich rechtfertigen zu müssen?

Nehmen Sie Ihre Absätze drei und vier zurück. Sie werfen darin – vermutlich im Affekt – mit falschen Tatsachenbehauptungen und justiziablen Verleumdungen um sich. Hören Sie auf, das gesellschaftliche Klima mit Drohungen zu vergiften und ihre vermeintlichen politischen Gegner zu kriminalisieren. Kehren Sie glaubhaft zu demokratischen Verhaltensweisen zurück.

Mit Ihrem Irrglauben, dass Sie allein entscheiden, woran „Bedarf besteht“, entblößen Sie den Kern Ihrer Selbstgerechtigkeit, der erst zur Politikverdrossenheit und zur Entwicklung von neuen, verfassungskonformen Wegen wie dem unseren geführt hat.
Zuerst unterstellen Sie unserer Aktivität die mächtige Wirkung, den Staat zu schädigen, um uns wenige Zeilen später mangels Masse jede Bedeutung abzusprechen. Was denn nun?

Wir schlagen Ihnen vor, die Demokratie-App als das zu nutzen, was sie ist: Ein hervorragendes Werkzeug, um den Volksvertretern die verloren gegangene Verbindung zum Bürgerwillen zurückzugeben. Dadurch könnten bürgernähere, demokratischere Entscheidungen gefällt werden, statt Parteikartelle allein regieren zu lassen – was vom Grundgesetz nie vorgesehen war.

Auf diese Weise könnten Sie sogar dann auf die Verwirklichung des Bürgerwillens hinwirken, wenn das Thema angeblich nicht in Ihren Zuständigkeitsbereich fällt. Dann würden die ausgeprägten parteiinternen Netzwerke endlich einmal dem guten Zweck dienen können, die Befindlichkeiten in der Bevölkerung an die richtigen Stellen zu tragen. Als Wähler und Steuerzahler sind wir ALLE – jeder nach seinen Möglichkeiten – für eine funktionierende Demokratie samt verantwortungsvoller Mittelverwendung zuständig.

Nutzen Sie als findiger Politiker konstruktiv die wertvolle Erkenntnis, dass ein erheblicher Teil der Bürger lebenswichtige Entscheidungen nicht dem Parteiklüngel überlassen will.

Da Ihnen und uns sehr an Transparenz gelegen ist, gehen wir davon aus, dass Sie nichts dagegen einzuwenden haben, unseren Dialog zu veröffentlichen und öffentlich fortzusetzen.

Wir freuen uns auf eine produktive, gemeinsame Lösung.

Freundliche Grüße
 
Markus Bönig
Vorstand

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