Faktencheck
Faktencheck: Netzhautgefäßverschlüsse nach Coronaimpfung
Der Bayrische Rundfunk [1] prüft einen Artikel des Nachrichtenportals welt.de, nach dem Gefäßverschlüsse im Auge zu den Nebenwirkungen der neuartigen Corona-Impfstoffe zählen. Dem Welt-Artikel war eine Veröffentlichung in der Fachzeitschrift nature vorausgegangen [2].
Laut dem Bayrischen Rundfunk (BR) zeigt die Studie eine Korrelation, die auch andere Ursachen haben könnte als die Impfung, zudem wären die Geimpften häufiger vorerkrankt als die Ungeimpften. Auch führt der BR an, dass die Autoren* weitere Studien fordern, um den beobachteten Zusammenhang genauer herauszuarbeiten. Andere Umfragen oder Studien würden jedenfalls keine ähnlichen Zusammenhänge zeigen, und die in der zitierten Studie beobachteten Fälle seien sehr selten und vergleichbar mit den Fallzahlen anderer Impfungen. Im weiteren Verlauf weist der BR auf Gefäßverschlüsse als mögliche Spätfolge einer Corona-Infektion hin und geht diesbezüglich von einer hohen Dunkelziffer aus [2].
Da Ergebnisse in der Wissenschaft fast nie eindeutig sind, ist es üblich, weitere Studien zu fordern. Eine Korrelation beweist keinen kausalen Zusammenhang und somit ist zu erwarten, dass die Autoren der nature-Studie weitere Studien fordern. Gemeint sind damit in der Konsequenz Studien, die aufzeigen könnten, welche anderen Faktoren außer den Impfstoffen für den Anstieg der Netzhautgefäßverschlüsse in der Gruppe der Geimpften verantwortlich sein könnten. Das ist ein sauberes wissenschaftliches Vorgehen und stellt das eigene Studienergebnis nicht infrage, auch wenn der BR dies fälschlicherweise behauptet. Der BR zitiert ungenau. Zum einen wird der Artikel von welt.de nicht verlinkt, zum anderen ist es nicht ausreichend, lediglich einen Link zum Bericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) zu posten, ohne darzulegen, inwiefern dieser Bericht die zuvor aufgestellte eigene Behauptung belegt. Die Häufigkeit von Nebenwirkungen bei Medikamenten ist klar definiert; mit seiner Behauptung, aus dem PEI-Bericht gehe hervor, dass die Netzhautgefäßverschlüsse nach Impfung sehr selten seien, lässt der BR außer Acht, dass das Prädikat „sehr selten“ mit einer Inzidenz von unter 1 auf 10.000 klar definiert ist. Der BR missachtet diese Kategorien.
Der BR zweifelt an, dass für die Korrelation zwischen den Netzhautgefäßverschlüssen und den Impfungen eine Kausalität besteht [1]. Die Autoren der Studie geben jedoch keine anderen Ursachen an, die solche Netzhautgefäßverschlüsse erklären könnten [2]. Dass sie die Impfung dennoch empfehlen, hat seinen Grund darin, dass die Autoren fälschlicherweise davon ausgehen, dass die Impfung Todesfälle verhindert hätte [2, 3]. Darauf, dass die Autoren ihre Studienergebnisse aber selbst anzweifeln würden, gibt es keinen Hinweis, auch wenn der BR dies so darstellt [1, 2]. Der BR merkt an, dass die Geimpften in der Studie häufiger vorerkrankt waren als die Ungeimpften und deswegen auch ein erhöhtes Risiko für die Netzhautgefäßverschlüsse gehabt hätten [1]. Vorerkrankte mit Erkrankungen, die Netzhautgefäßverschlüsse hätten begünstigen können, wurden aus der Studie allerdings von vornherein ausgeschlossen, wie die Autoren der nature-Studie angeben [2]. Dies kann also entgegen der Behauptung des BR keinen Effekt auf die Studienergebnisse gehabt haben. Der BR zitiert eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Retinologie, welche keinen Zusammenhang zwischen Netzhautgefäßverschlüssen und Impfung ergeben hätte; diese Studie umfasste allerdings nur knapp über 400 Probanden und hat daher nur eine geringe Aussagekraft, zudem ist die Studie aus dem August 2022; die Situation könnte sich seitdem verändert haben [4]. Zur Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Retinologie muss im Übrigen angemerkt werden, dass diese Institution Kontakte zur Pharmabranche hat [5]. Zur Mediaschool Bayern, die den BR finanziert, ist zu sagen, dass diese zum Teil Warner Bros. gehört, und Anteile von Warner Bros. hält etwa der Impfstoffhersteller Astra Zeneca [6, 7, 8]. Die andere vom BR zitierte Studie stammt aus dem Oktober 2020, als die Impfkampagne gerade erst begonnen hatte, und untersucht nur Netzhautgefäßverschlüsse, die im Zeitraum von bis zu 21 Tagen nach der Impfung auftraten. Eine Langzeitanalyse ist in der vom BR zitierten Studie für die neuartigen Corona-Impfstoffe also nicht erfolgt, wohl aber für die anderen Impfstoffe, für die die Daten zur Inzidenz von Netzhautgefäßverschlüssen aus einer Langzeitdatenbank entnommen wurden [9]. Es werden also völlig unterschiedliche Zeiträume miteinander verglichen; der BR hinterfragt hier das Vorgehen der Studie jedoch nicht. Das vom BR vergebene Prädikat „sehr selten“ kann man aber anhand anderer Daten hinterfragen. Es kam zu 134 Augennerventzündungen auf 100.000 Impfungen gemäß den vom BR zitierten Daten des PEI [10]. Das entspricht mehr als einem Behandelten auf 1.000 und fällt damit in die Kategorie „gelegentlich“ (zwischen 1 und 10 Fälle von 1.000 Behandelten) nicht aber in die Kategorie „sehr selten“ (unter 1 von 10.000 Behandelten) [11]. Der BR hat die Kategorien vertauscht, das darf in einem Faktencheck nicht passieren, vor Allem nicht in Bezug auf die Kernaussage. Die vom BR zu Long-Covid zitierte Studie macht keine Angaben dazu, wie viele der zuvor mit Corona infizierten Patienten geimpft worden sind, bevor ihre mit Long-Covid assoziierten Augenprobleme begonnen haben. Es ist demnach unklar, ob hier die Impfung oder die Infektion für die Netzhautgefäßverschlüsse verantwortlich gewesen ist [12]. Es wäre unwissenschaftlich, allein Long-Covid für einen Anstieg der Netzhautgefäßverschlüsse verantwortlich zu machen, obwohl die Probanden auch geimpft worden waren. Die Studie des BR war auch von anderer Seite kritisiert worden; in anderen Online-Artikeln etwa wurde nicht Long-Covid, sondern die Impfung für einen Anstieg von Sehstörungen oder Netzhautgefäßverschlüssen verantwortlich gemacht, und die nature-Studie war vielfach als deutlicher Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Netzhautgefäßverschlüssen und den neuartigen Corona-Impfstoffen interpretiert worden [13, 14, 15, 16, 17].
Der Faktencheck des BR liegt falsch; ein geringes Risiko für Netzhautgefäßverschlüsse nach einer Impfung mit den neuartigen Corona-Impfstoffen, welches im Bereich des Risikos für andere Impfstoffe liegt bzw. die Bezeichnung „sehr selten“ verdient, lässt sich so nicht festmachen. Vielmehr verdichten sich derzeit die Hinweise, dass dieses Risiko entgegen den Behauptungen des BR tatsächlich besteht.
Quellen:
[2] https://www.nature.com/articles/s41541-023-00661-7?utm_source=substack&utm_medium=email
[4] https://www.mdpi.com/2077-0383/11/17/5101
[5] https://www.retinologie.org/foerderpreise/
[6] https://www.br.de/unternehmen/inhalt/organisation/beteiligungsbericht-102.html
[7] https://www.nasdaq.com/market-activity/stocks/screener?exchange=nasdaq
[8] https://www.mediaschool.bayern/gesellschafter/kurzportraets/
[9] https://jamanetwork.com/journals/jamaophthalmology/fullarticle/2803760
[11] https://www.test.de/Medikamente-Dieser-Mix-vertraegt-sich-nicht-1435578-1435579/
[12] https://jamanetwork.com/journals/jamaophthalmology/fullarticle/2790988
* Es sind immer alle Geschlechteridentitäten gemeint.
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Behauptung
Gefäßverschlüsse im Auge zählen zu den Nebenwirkungen der neuartigen Corona-Impfstoffe.
Das sagt der Faktenchecker
Die Studie zeige eine Korrelation, die auch andere Ursachen haben könnte als die Impfung. Zudem wären die Geimpften häufiger vorerkrankt als die Ungeimpften. Der BR führt an, dass die Autoren* weitere Studien fordern, um den beobachteten Zusammenhang genauer herauszuarbeiten. Andere Umfragen oder Studien würden jedenfalls keine ähnlichen Zusammenhänge zeigen, und die in der zitierten Studie beobachteten Fälle seien sehr selten und vergleichbar mit den Fallzahlen anderer Impfungen. Im weiteren Verlauf weist der BR auf Gefäßverschlüsse als mögliche Spätfolge einer Corona-Infektion hin und geht diesbezüglich von einer hohen Dunkelziffer aus.
Kritik am Vorgehen
Da Ergebnisse in der Wissenschaft fast nie eindeutig sind, ist es üblich, weitere Studien zu fordern. Eine Korrelation beweist keinen kausalen Zusammenhang und somit ist zu erwarten, dass die Autoren der nature-Studie weitere Studien fordern. Gemeint sind damit in der Konsequenz Studien, die aufzeigen könnten, welche anderen Faktoren außer den Impfstoffen für den Anstieg der Netzhautgefäßverschlüsse in der Gruppe der Geimpften verantwortlich sein könnten. Das ist ein sauberes wissenschaftliches Vorgehen und stellt das eigene Studienergebnis nicht infrage, auch wenn der BR dies fälschlicherweise behauptet. Der BR zitiert ungenau. Zum einen wird der Artikel von welt.de nicht verlinkt, zum anderen ist es nicht ausreichend, lediglich einen Link zum Bericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) zu posten, ohne darzulegen, inwiefern dieser Bericht die zuvor aufgestellte eigene Behauptung belegt. Die Häufigkeit von Nebenwirkungen bei Medikamenten ist klar definiert; mit seiner Behauptung, aus dem PEI-Bericht gehe hervor, dass die Netzhautgefäßverschlüsse nach Impfung sehr selten seien, lässt der BR außer Acht, dass das Prädikat „sehr selten“ mit einer Inzidenz von unter 1 auf 10 000 klar definiert ist. Der BR missachtet diese Kategorien.
Check the Checker Faktencheck
Der BR zweifelt an, dass für die Korrelation zwischen den Netzhautgefäßverschlüssen und den Impfungen eine Kausalität besteht [1]. Die Autoren der Studie geben jedoch keine anderen Ursachen an, die solche Netzhautgefäßverschlüsse erklären könnten [2]. Dass sie die Impfung dennoch empfehlen, hat seinen Grund darin, dass die Autoren fälschlicherweise davon ausgehen, dass die Impfung Todesfälle verhindert hätte [2, 3]. Darauf, dass die Autoren ihre Studienergebnisse aber selbst anzweifeln würden, gibt es keinen Hinweis, auch wenn der BR dies so darstellt [1, 2]. Der BR merkt an, dass die Geimpften in der Studie häufiger vorerkrankt waren als die Ungeimpften und deswegen auch ein erhöhtes Risiko für die Netzhautgefäßverschlüsse gehabt hätten [1]. Vorerkrankte mit Erkrankungen, die Netzhautgefäßverschlüsse hätten begünstigen können, wurden aus der Studie allerdings von vornherein ausgeschlossen, wie die Autoren der nature-Studie angeben [2]. Dies kann also entgegen der Behauptung des BR keinen Effekt auf die Studienergebnisse gehabt haben. Der BR zitiert eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Retinologie, welche keinen Zusammenhang zwischen Netzhautgefäßverschlüssen und Impfung ergeben hätte; diese Studie umfasste allerdings nur knapp über 400 Probanden und hat daher nur eine geringe Aussagekraft, zudem ist die Studie aus dem August 2022; die Situation könnte sich seitdem verändert haben [4]. Zur Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Retinologie muss im Übrigen angemerkt werden, dass diese Institution Kontakte zur Pharmabranche hat [5]. Zur Mediaschool Bayern, die den BR finanziert, ist zu sagen, dass diese zum Teil Warner Bros. gehört, und Anteile von Warner Bros. hält etwa der Impfstoffhersteller Astra Zeneca [6, 7, 8]. Die andere vom BR zitierte Studie stammt aus dem Oktober 2020, als die Impfkampagne gerade erst begonnen hatte, und untersucht nur Netzhautgefäßverschlüsse, die im Zeitraum von bis zu 21 Tagen nach der Impfung auftraten. Eine Langzeitanalyse ist in der vom BR zitierten Studie für die neuartigen Corona-Impfstoffe also nicht erfolgt, wohl aber für die anderen Impfstoffe, für die die Daten zur Inzidenz von Netzhautgefäßverschlüssen aus einer Langzeitdatenbank entnommen wurden [9]. Es werden also völlig unterschiedliche Zeiträume miteinander verglichen; der BR hinterfragt hier das Vorgehen der Studie jedoch nicht. Das vom BR vergebene Prädikat „sehr selten“ kann man aber anhand anderer Daten hinterfragen. Es kam zu 134 Augennerventzündungen auf 100.000 Impfungen gemäß den vom BR zitierten Daten des PEI [10]. Das entspricht mehr als einem Behandelten auf 1.000 und fällt damit in die Kategorie „gelegentlich“ (zwischen 1 und 10 Fälle von 1.000 Behandelten) nicht aber in die Kategorie „sehr selten“ (unter 1 von 10.000 Behandelten) [11]. Der BR hat die Kategorien vertauscht, das darf in einem Faktencheck nicht passieren, vor Allem nicht in Bezug auf die Kernaussage. Die vom BR zu Long-Covid zitierte Studie macht keine Angaben dazu, wie viele der zuvor mit Corona infizierten Patienten geimpft worden sind, bevor ihre mit Long-Covid assoziierten Augenprobleme begonnen haben. Es ist demnach unklar, ob hier die Impfung oder die Infektion für die Netzhautgefäßverschlüsse verantwortlich gewesen ist [12]. Es wäre unwissenschaftlich, allein Long-Covid für einen Anstieg der Netzhautgefäßverschlüsse verantwortlich zu machen, obwohl die Probanden auch geimpft worden waren. Die Studie des BR war auch von anderer Seite kritisiert worden; in anderen Online-Artikeln etwa wurde nicht Long-Covid, sondern die Impfung für einen Anstieg von Sehstörungen oder Netzhautgefäßverschlüssen verantwortlich gemacht, und die nature-Studie war vielfach als deutlicher Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Netzhautgefäßverschlüssen und den neuartigen Corona-Impfstoffen interpretiert worden [13, 14, 15, 16, 17].
Quellen
[2] https://www.nature.com/articles/s41541-023-00661-7?utm_source=substack&utm_medium=email
[4] https://www.mdpi.com/2077-0383/11/17/5101
[5] https://www.retinologie.org/foerderpreise/
[6] https://www.br.de/unternehmen/inhalt/organisation/beteiligungsbericht-102.html
[7] https://www.nasdaq.com/market-activity/stocks/screener?exchange=nasdaq
[8] https://www.mediaschool.bayern/gesellschafter/kurzportraets/
[9] https://jamanetwork.com/journals/jamaophthalmology/fullarticle/2803760
[11] https://www.test.de/Medikamente-Dieser-Mix-vertraegt-sich-nicht-1435578-1435579/
[12] https://jamanetwork.com/journals/jamaophthalmology/fullarticle/2790988
Der Faktencheck des BR liegt falsch; ein geringes Risiko für Netzhautgefäßverschlüsse nach einer Impfung mit den neuartigen Corona-Impfstoffen, welches im Bereich des Risikos für andere Impfstoffe liegt bzw. die Bezeichnung „sehr selten“ verdient, lässt sich so nicht festmachen. Vielmehr verdichten sich derzeit die Hinweise, dass dieses Risiko entgegen den Behauptungen des BR tatsächlich besteht.